Zum Inhalt springen

„Gemüsebau: Digitale Helfer sparen 90 Prozent Pflanzenschutzmittel“

Jan Wangerpohl (li.) und sein Kollege Christoph Werner freuen sich, dass die neu entwickelte intelligente Präzisions-Feldspritze nach einigen Testläufen nun bei Mählmann Gemüsebau im Einsatz ist. Foto: Mählmann

Im Nordwesten Niedersachsens ist der Gemüsebau ein wichtiger Wirtschaftszweig. Die intensive Nutzung der Fläche stellt höchste Anforderungen an die Technik. Digitale Unter-stützung ist unverzichtbar geworden – sie kann beispielsweise den Einsatz von Pflanzenschutz-mitteln um 90 Prozent re-duzieren.

Der Konsum von Salat und Gemüse nimmt zu in Deutschland, das bedeutet Wachstumspotenzial für den Anbau. Foto: Smileus/www.AdobeStock.com
Der Konsum von Salat und Gemüse nimmt zu in Deutschland, das bedeutet Wachstumspotenzial für den Anbau. Foto: Smileus/www.AdobeStock.com

„Der Gemüsebau ist ganz anders“, lacht Jan Wangerpohl. Der junge Maschinenbauingenieur ist Projektmanager Smart Farming bei Mählmann Gemüse-bau, Cappeln (Landkreis Cloppenburg). Er betreut den Einsatz digitaler Produkte auf dem Feld, angefangen bei Lenksystemen und elektronischen Steuerungen von Anbaugeräten, über Spot-Spraying bis hin zur Robotik.

Der Maschineneinsatz im Gemüsebau unterscheidet sich stark zu dem im landwirtschaftlichen Ackerbau: „Eine Schwierigkeit stellt das mehrfache Be-stellen einer Fläche mit der gleichen oder auch verschiedenen Kulturen dar“, erklärt er.

Hohe Anforderungen an Technik

Daraus ergeben sich hohe Anforderungen an die Technik. Zum Beispiel muss der Reihenabstand und der Pflanzabstand (Abstand der Pflanzen in der Reihe) beim Setzen von Jungpflanzen exakt stimmen: „Auch die Pflanztiefe der 20 cm großen Jungpflanzen muss exakt erfolgen.“, so Jan Wangerpohl.

Bei Mählmann Gemüsebau werden über 30 verschiedene Kulturen angebaut, den Schwerpunkt bilden Salate und Kohlgemüse. Die Vegetationspe-riode geht von Anfang März bis etwa Ende Oktober. Technisch gesehen ist der Gemüseanbau ein Nischenbereich, die eingesetzten Maschinen sind Sonderanfertigungen und dadurch sehr kostenintensiv.

Digitale Helfer sind bei diesen Maschinen deshalb nicht mehr wegzudenken. Jan Wangerpohl nennt ein Beispiel: „Beim Pflanzen von Jungpflanzen fahren wir mit sehr geringen Geschwindigkeiten zwischen 0,8 km/h und 1,5 km/h über das Feld. Besonders wichtig ist der gerade Verlauf der Reihen, da es ansonsten zu Problemen in den nachfolgenden Arbeitsschritten (z.B. mechanische Unkrautbekämpfung oder Pflanzenschutz) kommen kann.

Die neu entwickelte Feldspritze arbeitet mit einem KI-gestützten Kamerasystem, das jedes Unkraut erkennt. Foto: Mählmann
Die neu entwickelte Feldspritze arbeitet mit einem KI-gestützten Kamerasystem, das jedes Unkraut erkennt. Foto: Mählmann

Automatische Lenksysteme lange im Einsatz

Aus diesem Grund war Mählmann Gemüsebau eines der ersten Unternehmen in Deutschland, die 2004 auf das automatische Lenksystem des Herstel-lers John Deere umgestiegen ist: „Der Fahrer sitzt noch auf dem Schlepper, aber er muss nicht mehr selbst lenken, sondern kann sich vollständig auf das Anbaugerät und dessen Arbeit konzentrieren.“

Ob die Digitalisierung und Nutzung von Künstlicher Intelligenz im Pflanzenschutz sinnvoll ist, wird diskutiert. „Wie in der Landwirtschaft soll auch im Gemüsebau der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert werden“, berichtet Christoph Werner. Der 27-Jährige ist bei Mählmann Gemüsebau, neben fünf weiteren Kollegen, für den Pflanzenschutz und die Pflanzenernährung zuständig.

Verbraucher wollen kein Unkraut im Salat

„Im Vergleich zum Ackerbau haben wir im Gemüsebau nur noch sehr wenige Produkte, die wir überhaupt einsetzen können. Seitens unserer Abnehmer, dem Lebensmittelhandel, gibt es ebenfalls Begrenzungen zu Produkten, Menge und Häufigkeit des Pflanzenschutzmitteleinsatzes.“ Dadurch wird die Behandlung erschwert: „Wenn Unkraut stehen bleibt, bringt das zum einen weniger Ertrag durch die Konkurrenz zwischen Nutzpflanze und Unkraut, zum anderen muss evtl. von Hand Unkraut gezogen werden. Das kostet Zeit und Geld, ist aber unerlässlich, da Unkräuter in Lebensmittelprodukten nicht toleriert werden“, beschreibt er die Situation.

Um so erfreulicher finden es Christoph Werner und sein Kollege Jan Wangerpohl, dass sie in der aktuellen Saison eine neu entwickelte intelligente Präzisions-Feldspritze einsetzen können. „Die neue Feldspritze einer Schweizer Firma wird digital gesteuert und appliziert das Pflanzenschutzmittel sehr exakt auf einen Spot von 6 x 6 cm. Es werden lediglich die Bereiche behandelt, die auch mit Unkraut befallen sind. Diese Verfahren wird als Spot-Spraying bezeichnet und kann den Mitteleinsatz um bis zu 90 Prozent reduzieren“, sagt Christoph Werner.

Gemüse in Deutschland: Nachfrage und Anbau steigen

In Deutschland wird auf insgesamt 131.000 Hektar Gemüse im Freiland angebaut, davon sind 1.320 Hektar Anbaufläche unter Glas (2021). Die Gemüse-anbauflächen weisen einen steigenden Trend auf. Zwischen 2010 und 2021 betrug der Anstieg rund 22 Prozent.

Spitzenreiter beim Gemüseanbau ist Nordrhein-Westfalen mit rund 29.000 Hektar, danach folgt Niedersachsen mit rund 22.000 Hektar. Der Anbau von Gemüse ist regional zum Teil stark konzentriert. Zu den fünf Landkreisen in Deutschland, in denen jeweils auf über 3.000 Hektar Gemüse angebaut werden, gehört auch Cloppenburg. Die anderen vier führenden Landkreise sind Potsdam, Dithmarschen, Germersheim und der Rhein-Pfalz-Kreis. 

In Deutschland wurden 2020 rund 10 Mio. Tonnen Gemüse verbraucht. Damit ist der Gemüseverbrauch in den vergange-nen 20 Jahren um rund 2,3 Mio. Tonnen angestiegen. 2020 lag der Pro-Kopf-Verbrauch bei 105 kg. Der Selbstversorgungs-grad liegt im Mittel bei rund 36 Prozent, allerdings mit sehr großen Unterschieden je nach Gemüseart.

Spezialmaschine mit digitaler Bilderkennung

Neben der positiven Umweltwirkung können auch Kosten gesenkt werden. Die Feldspritze verfügt über 156 Düsen mit Magnetventilen, die sich in wenigen Millisekunden öffnen und wieder schließen können. „Kernstück“ ist das digitale Bilderkennungssystem. Es besteht aus hochauflösenden Kameras, die mit LED-Licht ausgestattet sind. Dadurch haben alle Bilder eine gleichbleibende Qualität. Bei einer Arbeitsgeschwindigkeit von 7 km/h erkennt der Pflanzenerkennungs-algorithmus jede Pflanze und die Unkräuter werden gespritzt.

Seit dem Sommer ist die neue Pflanzenschutzspritze zunächst beim Eisbergsalat im Einsatz – einer Hauptkultur bei Mählmann. Dafür waren die Mit-arbeiter des Herstellers in der vergangenen Saison vor Ort und haben zahlreiche Bilder von Unkräutern, aber auch vom Eisbergsalat in verschiedenen Vegetationsstufen gemacht.

KI muss sehr aufwändig trainiert werden

Je mehr Bilder einer Pflanzenart in dem System hinterlegt sind, desto präziser kann die neue Maschine arbeiten. Der Hersteller hat bereits Datenban-ken für verschiedene Kulturen, darunter auch Zuckerrüben, Raps oder Mais angelegt. Weitere Kulturen sollen folgen. „Künstliche Intelligenz ist nur so gut wie die Qualität der Daten, mit denen sie trainiert wurde“, wissen die beiden Ingenieure um die aufwändige Vorarbeit.

Welche Erwartungen haben die beiden zukünftig an die digitalen Helfer bzw. KI? „Das Ziel ist, die Arbeiten auf dem Feld zu automatisieren und die Handarbeit auf das minimal nötigste zu reduzieren“, so Jan Wangerpohl. Auch die Gemüsebaubranche spürt die deutlich gestiegenen Arbeits- und Lohnkosten und vielerorts fehlen Arbeitskräfte. Da es sich um leicht verderbliche Ware handelt, müssen die Arbeitsschritte „just in time“ ablaufen. Mehr Automatisierung würde da für deutlich mehr Entlastung sorgen – und auch Kosten sparen. „Der Weg bis zum autonomen Anbauen, Behandeln und Ernten ist noch weit, jedoch ist der Anfang gemacht“, sieht Christoph Werner die Entwicklung optimistisch.