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“KI arbeitet jeden Tag 24 Stunden”

Das KI-System erfasst und analysiert das Verhalten der Tiere, wie aktiv sie sind oder wie sie sich im Stall verteilen. Foto: LV/Top agrar

Claus Wöste mästet im emsländischen Börger Hähnchen. Zusammen mit seiner Integration testete er zwei Jahre lang in seinen Ställen ein Kamera- und KI-gestütztes System zur 24-Stunden-Überwachung seiner Tiere. Es ist jetzt praxiserprobt und der Landwirt würde nur sehr ungern wieder darauf verzichten.

Claus Wöste versteht das KI-Überwachungssystem als Unterstützung für ihn und seine Mitarbeiter. Foto: LV/Top agrar
Claus Wöste versteht das KI-Überwachungssystem als Unterstützung für ihn und seine Mitarbeiter. Foto: LV/Top agrar

Claus Wöste ist Herr über 360.000 Masthähnchen. Der 40jährige hat 2008 den Einstieg in die Geflügelhaltung gewagt – auf dem Ackerbaubetrieb seiner Eltern mit Schwerpunkt Kartoffelanbau. Zwischenzeitlich ist noch eine Biogasanlage als weiteres Standbein dazugekommen.

Heute bewirtschaftet Claus Wöste seinen Betrieb in Börger im Nordkreis Emsland zusammen mit fünf Vollzeit-Arbeitskräften, ein bis zwei Auszubilden-den und bis zu zehn 520-Euro-Kräften. Seine Hähnchen werden im nahegelegenen Meppen bei der Unternehmensgruppe Rothkötter geschlachtet. Von dort bezieht er auch seine Küken und sein Futter. Die Unternehmensgruppe Rothkötter gehört zu Deutschlands führenden Integrationen im Geflügelbereich.

Zwei Ställe als Testställe ausgestattet

Rothkötter war vor zwei Jahren auf der Suche unter den Partnerbetrieben, ein neues, kameragestütztes System zur 24-Stunden-Überwachung der Tiere zu testen. Es arbeitet mit KI (Künstliche Intelligenz). Claus Wöste war sehr interessiert: „Wir mästen unsere Hähnchen auf zwei Standorten und haben an jedem Standort einen Stall mit dem neuen System vom Start-Up ‚VetVise‘ ausgestattet“, erzählt er. 

Das Prinzip ist – eigentlich – einfach: An der Decke des Stalles hängen ca. 40 Kameras (staubgeschützt und robust) und nehmen kontinuierlich die Tiere im Stall auf. Die Kameras sind handelsübliche Überwachungskameras.

„Wir können heute sehr schnell reagieren, eventuelle Fehler schnell beheben.“

Verhalten der Tiere wird analysiert

Bei der Auswertung der Bilder kommt KI ins Spiel. Analysiert wird das Verhalten der Tiere, ihre Aktivität und ihre Verteilung im Stall. „Am Verhalten der Tiere im Stall kann man sehr viel ablesen; ob es zu kalt ist, ob es irgendwo Zugluft gibt, ob sich eine Krankheit anbahnt oder die Luftqualität im Stall schlecht ist“, weiß Claus Wöste aus seiner langjährigen Erfahrung als Hähnchenmäster.

Aber er kann eben nicht 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche in jedem Stall sein. Die Kameras von „VetVise“ können es aber. Einen weiteren Unterschied fügt der Landwirt hinzu: „Wenn ich in den Stall komme und durchgehe, verhalten sich die Tiere anders als wenn sie ungestört sind.“

Landwirt bekommt Managementempfehlungen

Die Kunst der KI besteht darin, die aufgenommenen Stallbilder richtig zu interpretieren, damit der Landwirt dann den Hinweis bekommen kann, dass es zum Beispiel zu kalt ist im hinteren Stallbereich (weil die Tiere sich dort eng zusammendrängeln) oder zum Beispiel die Tränken an einer Stelle nicht funktionieren (weil sich dort kein Tier aufhält) oder dass an bestimmten Stellen im Stall verendete Tiere liegen (weil sie sich nicht mehr bewegen).

Damit das KI-System diese Schlüsse ziehen kann, muss es sehr aufwändig „angelernt“ werden. Tausende von Bildern sind dafür nötig – mit jeweils dem Hinweis „Ok“ oder „Nicht ok“. Dieses Anlernen haben die Gründer von „VetVise“ gemacht. Neben IT-Spezialisten gehören dazu Tierärzte und Agraringe-nieure. Letztere kennen die Geflügelpraxis.

Neue Generation Kameras installiert

In den beiden Ställen von Claus Wöste, die quasi als Projektställe fungierten, wurde „VetVise“ über die vergangenen zwei Jahre laufend nachjustiert. Wöste selbst sieht das System heute als praxisreif an: „Alles lief relativ schnell sehr gut.“ Ausgetauscht wurde bald die erste Generation der Kameras, sie erwiesen sich als nicht so Hochdruckreiniger-tauglich: „Die jetzigen kann man problemlos bei der Stallreinigung nach einem Durchgang mit abspritzen“, so der Landwirt.

Das „VetVise“-System interpretiert die Bilder aus dem Stall, das Team des Unternehmens mit Sitz an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover liefert dem Mäster im nächsten Schritt daraus abgeleitete Managementempfehlungen,  die es im Abo gibt.

Claus Wöste erhält heute jeden Morgen eine Meldung, was in den vergangenen 24 Stunden los war in seinen Ställen, ob die Hähnchen gut verteilt ste-hen oder zum Beispiel den Hinweis, dass er die Stalltemperatur etwas absenken kann. „Das ist nicht nur eine Momentaufnahme, wie, wenn ich in den Stall gehe, sondern es ist eine Dauerüberwachung“.

40 Kameras verteilen sich über die gesamte Stalllänge an der Decke. Die handelsüblichen Überwachungskameras können mit einem Hochdruckreiniger gesäubert werden. Foto: LV/Top agrar

„Nach den Hinweisen von ‚VetVise‘ steuere ich das Klima im Stall nach.“

Live-Bilder auf dem I-Pad

Der Mäster schaut sich mehrfach am Tag auch direkt die Kamerabilder aus dem Stall an, besonders in kritischen Zeiten wie kurz nach dem Einstallen, an sehr heißen Sommertagen oder in den Übergangszeiten mit starken Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht. Diese Live-Bilder kann er jederzeit und überall auf dem Handy oder I-Pad abrufen. Ein kleiner Zusatznutzen wäre programmierbar: Die Stallbilder könnten auch aufgezeichnet werden, „ungebetene“ Gäste im Stall würden dann aufgenommen.

Claus Wöste überlegt derzeit, jeden seiner Ställe mit dem Kamerasystem auszustatten. Worin sieht er den Hauptnutzen? „Es ist das Feintuning“, sagt er. Von seinen Leistungen im Stall, aber ebenso von den wirtschaftlichen Ergebnissen her gehört er schon zum oberen Viertel. „Um noch weiter an den sprichwörtlichen kleinen Schrauben drehen zu können, liefert ihm „VetVise“ die nötigen Informationen.

Temperatur noch genauer justieren

Er nennt als ein Beispiel die Beheizung der Ställe: „An einem Standort können wir die Wärme unserer Biogasanlage nutzen, am anderen Standort heizen wir mit Gas. Die Heizkosten sind in der Hähnchenmast ein gewichtiger Kostenfaktor. So viel wie nötig, so wenig wie möglich, ist die Devise. Wenn man täglich eine Information bekommt, wie die Tierverteilung den Tag über war (als Indiz für Wohlfühltemperaturen) kann man laufend nachjustieren und ggf. bares Geld sparen.“

Wünschen würde er sich noch, dass es bei Bedarf sofort einen Alarm gäbe, wenn sich im Verhalten der Tiere im Stall etwas auffällig ändert, von der Norm abweicht. „Unsere Ställe sind schon etwas älter, da kann zum Beispiel mal ein Futterrohr abreißen und das Futter würde so in den Stall laufen. Da wäre es gut, wenn man direkt eine Fehlermeldung gäbe“, so der Landwirt.

Unterstützung für Mitarbeiter

Er versteht das Überwachungssystem als Unterstützung für ihn und seine Mitarbeiter: „Durch den Stall gehen und schauen, was dort los ist, machen wir natürlich weiterhin. Aber mit den gezielten Hinweisen von ‚VetVise‘ kann man noch mal gezielter schauen“, sagt er.

Für den Schlachthof wäre es interessant, die Gewichtsentwicklung der Tiere noch genauer zu kennen – für eine optimierte Schlachtlogistik. „Daran arbeitet „VetVise“ derzeit bereits. 

„Schön wäre, wenn der Handel honorieren würde, dass wir eine 24-Stunden-Betreuung unserer Tiere haben.“

Honorierung von Abnehmerseite wünschenswert

In der Diskussion ist er mit seiner Integration darüber, ob die 24-Stunden-Überwachung nicht auch als ein Beitrag für mehr Tierwohl vom abnehmenden Handel honoriert werden sollte: „Wier weisen damit eine lückenlose Überwachung unserer Herden nach. Weil wir immer schnell reagieren können, haben die Hähnchen jeden Tag optimale Bedingungen im Stall. Für mich ist das auch ein Mehr an Tierwohl“, so seine Begründung.