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„Digitale Landwirtschaft gehört in die Lehrpläne“

Dr. Henning Müller, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz Foto: Müller

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind zwei „Werk-zeuge“, mit denen auch die Agrarbranche fit für die Zukunft werden soll. Welchen Nutzen haben sie dort und was ist zu erwarten? Wir sprachen mit Dr. Henning Müller vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), Standort Osnabrück.

Wenn Umweltdaten in Echtzeit verfügbar sind, können präziseste Anpassungen der Bewirtschaftung einer Fläche erfolgen. Foto: Monopoly919/AdobeStock
Wenn Umweltdaten in Echtzeit verfügbar sind, können präziseste Anpassungen der Bewirtschaftung einer Fläche erfolgen. Foto: Monopoly919/AdobeStock

Dr. Müller, die Begriffe Digitalisierung, Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik werden oft vermischt. Erklären Sie uns die Unterschiede?

Digitalisierung ist vielschichtig und umfasst sowohl Hard- als auch Software. Sie bezeichnet aber auch den generellen Wandel von analogen zu digi-talen Technologien und Systemen. Dabei spielen Algorithmen eine immer wichtigere Rolle. Eingangsdaten werden nach einer klaren Handlungsvor-schrift in Ausgangsdaten umgewandelt. Dieser Prozess ähnelt dem Befolgen eines Kochrezepts. Aus einzelnen Zutaten wird ein ganzes Gericht. Die wichtigsten Zutaten sind dabei Daten, ggf. in sehr großen Mengen und Formaten. Man spricht dann von BigData.

Sehr große Datenmengen fallen im Bereich autonomer Systeme (Roboter) an, die sich ohne weitere Eingriffe von außen selbstständig in ihrer Umge-bung zurechtfinden und nach ihren Möglichkeiten handeln können. Der Grad der Autonomie ist dabei unterschiedlich. Er reicht vom einfachen Ab-fahren eines GPS-Pfades bis zum frei beweglichen Arbeiten des Systems. Im letzteren Fall muss die Umgebung wahrgenommen und beim Handeln berücksichtigt werden. Hier stehen wir allerdings noch am Anfang. Derzeit sollte man eher von hochautomatisiert als von autonom sprechen.

Auch die Zeitdauer, in der ein Roboter unbeaufsichtigt seine Arbeit verrichten kann, charakterisiert ein solches System. Von Langzeit-Autonomie spricht man, wenn der Roboter sich selbst mit Betriebsmitteln und Energie versorgen kann, indem er beispielsweise regelmäßig eine Ladestation aufsucht. Solche Konzepte finden sich aktuell noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase.

Die Begriffe Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) werden fälschlicherweise oft synonym verwendet. KI ist, einfach ausgedrückt, die Fähigkeit von Computern und Maschinen, Arbeiten zu verrichten, die bisher nur mit menschlicher Intelligenz möglich waren. Der Computer soll Dinge tun, für die der Mensch derzeit noch die besseren Lösungen hat. Ein zentraler Bereich der KI ist das maschinelle Lernen. KI ist ein Teilgebiet der Informatik. Es werden aber viele Methoden und Ergebnisse aus anderen Bereichen wie Logik, Statistik, Steuerungs- und Regelungstechnik, Bildverarbeitung, Biologie, Philosophie, Psychologie etc. verwendet.

In der Landtechnik gibt Entwicklungen hin zu autonomen Robotern, die Aufgaben wie Unkrautregulierung und Ernte übernehmen können.Foto: shaiq/www.AdobeStock.com
In der Landtechnik gibt Entwicklungen hin zu autonomen Robotern, die Aufgaben wie Unkrautregulierung und Ernte übernehmen können.Foto: shaiq/www.AdobeStock.com

Wo steht die Agrarbranche heute in Bezug auf Digitalisierung, KI und Robotik?

Der gesamte AgriFood-Bereich setzt digitale Technologien, KI und Robotik sowohl im Pflanzenbau als auch in der Tierhaltung ein.

Im Pflanzenbau gibt eine zunehmende Nutzung von digitalen Technologien für präzise Landwirtschaft, wie GPS-gesteuerte Maschinen und Sensoren zur Boden- und Ernteanalyse. KI wird eingesetzt, um Muster in großen Datenmengen zu erkennen und Entscheidungen zu treffen, die den Ertrag und die Nachhaltigkeit verbessern. Beispiele sind die Analyse von Wetterdaten und Bodenbedingungen sowie die Optimierung von Bewässerungs- und Düngungsprozessen. Auch bei der Unterscheidung von Nutzpflanze, Beikraut und Unkraut kommen KI-Methoden zum Einsatz.

Es gibt Entwicklungen hin zu autonomen Robotern, die Aufgaben wie Unkrautregulierung und Ernte übernehmen können. Diese Roboter sind in der Lage, selbstständig auf dem Feld zu arbeiten und so die Effizienz zu steigern.

In der Tierhaltung nutzen moderne Ställe Sensoren und digitale Systeme, um das Stallklima, die Fütterung und die Gesundheit der Tiere zu über-wachen. Dies führt zu einer verbesserten Tiergesundheit und Produktivität.

KI-Überwachungssysteme analysieren Verhaltensmuster der Tiere und können Gesundheitsprobleme hierüber frühzeitig erkennen. Dies hilft, die besten Bedingungen für die Tierhaltung zu schaffen und die Kosten für Tierbehandlungen zu senken.

In der Milchviehhaltung werden Melkroboter eingesetzt. Auch Futterschiebe-Roboter und automatische Einstreusysteme sind im Einsatz.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die AgriFood-Branche durch die Integration dieser Technologien effizienter geworden ist. Der digitale Wandel ermöglicht eine genauere Überwachung und Steuerung der landwirtschaftlichen Prozesse. KI und Robotik tragen dazu bei, Arbeitsabläufe zu optimie-ren und die Produktqualität zu verbessern. Durch den Einsatz dieser Technologien wird auch kontinuierlich daran gearbeitet, den Sektor nachhaltiger zu gestalten.

„Durch die Digitalisierung werden Landwirte nicht überflüssig, aber ihre Rolle verändert sich.“

Trotz digitaler „Helfer“ bleibt der Landwirt gerade in der Tierhaltung Beobachter und Entscheider. Foto: visoot/www.AdobeStock.com
Trotz digitaler „Helfer“ bleibt der Landwirt gerade in der Tierhaltung Beobachter und Entscheider. Foto: visoot/www.AdobeStock.com

Landwirte und Landwirtinnen sollen die neuen Werkzeuge nutzen, können sie das überhaupt?

Die Kompetenzen rund um die Digitalisierung in der Landwirtschaft sind ausbaufähig. Eine hohe Medienkompetenz wird zu oft mit Digitalkompetenz verwechselt.

Der Beruf Landwirt ist 1995 neu geordnet worden. Digitale Landwirtschaft spielt im Rahmenlehrplan (noch) keine Rolle. Sie kann im Unterricht behandelt werden, muss es aber nicht.

Wissen rund um Robotik oder KI etc. fehlt. Für sichere Kaufentscheidungen oder Nutzenabwägungen ist es aber wichtig. Der Einsatz von KI und Robotik dürfte auf längere Sicht den Pflanzenbau ändern. Dort können solche Systeme mit besonders hohem Gewinn eingesetzt werden.

Auf Dauer wird nicht der einmalige Kauf einer Maschine im Vordergrund stehen, sondern eine intelligente Hardware, die über regelmäßige Updates mit neuen Algorithmen versorgt wird bzw. werden muss. Kostenpflichtige Schulungen werden der ständige Begleiter für Landwirte werden – eine gute Bildung ist der Schlüssel zu den neuen Technologien.

Fortbildungen wie Meisterkurse oder 1- und 2-jährige Fachschulen sollten gezielt erweitert werden bezüglich digitaler Technologien. Zudem müssen Weiterbildungsprogramme entwickelt und dezentral angeboten werden. Und: Konzepte für Familienbetriebe sehen anders aus als für Betriebe mit Fremd AK.

Dabei ist es essenziell, dass auch Lehrkräfte umfassend weitergebildet werden. Das kostet zusätzliche Zeit, die neben den bereits existierenden und notwendigen Fort- und Weiterbildungsangeboten derzeit aber einfach nicht so gegeben ist.

Wird der Landwirt demnächst überflüssig, wenn intelligente Geräte seine Arbeit übernehmen?

Die Digitalisierung in der Landwirtschaft führt zu einem verstärkten Einsatz intelligenter Maschinen und Technologien, die viele Prozesse automatisieren und optimieren können. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Landwirte dadurch überflüssig werden. Vielmehr wird sich ihre Rolle verändern.

Die Digitalisierung kann dazu beitragen, Nachhaltigkeit und Produktivität der Landwirtschaft zu steigern. Landwirte bleiben ein zentraler Bestandteil des Systems, da sie die Technik bedienen, die Daten interpretieren und letztlich die Verantwortung für ihren Betrieb tragen. Gerade im Umgang mit Tieren darf dieser Aspekt nicht vernachlässigt werden.

„In 20 Jahren könnten teilautonome landwirtschaftliche Betriebe Realität werden.“

Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Was wird in 20 Jahren möglich sein?

In 20 Jahren könnte das AgriFood-System durch den digitalen Wandel stark verändert sein. Die Dynamik der letzten Jahre zeigt, wie schwierig es ist, Aussagen mit einer solchen zeitlichen Perspektive zu treffen. Es bleibt zu hoffen, dass die Zukunft Handlungsspielräume eröffnet und nicht ausschließlich von den negativen Auswirkungen des Klimawandels, der Umweltverschmutzung und des Artensterbens bestimmt wird.

Im internationalen Kontext könnten teilautonome landwirtschaftliche Betriebe Realität werden. Roboter und Drohnen übernehmen zentrale Aufgaben. Grundlage dafür sind Fortschritte in der Sensorik und Datenanalyse. Sie führen zu einem noch präziseren Smart Farming, das den Ressourceneinsatz minimiert und die Erträge optimiert.

In der Nahrungsmittelproduktion könnten neue landwirtschaftliche Verfahren und Systeme die Transportwege erheblich verkürzen, insbesondere in städtischen Gebieten. Fortschritte in der Biotechnologie wie CRISPR und Genome Editing könnten Pflanzen hervorbringen, die widerstandsfähiger gegen Krankheiten und den Klimawandel sind. Fortgeschrittene KI-Systeme könnten komplexe Umweltdaten analysieren und in Echtzeit Anpassungen in der Bewirtschaftung vornehmen. Dies fördert die Nachhaltigkeit.

Insgesamt könnten diese Entwicklungen dazu beitragen, die Herausforderungen der globalen Ernährungssicherheit zu bewältigen und gleichzeitig die Umweltbelastung zu verringern. Die Zukunft der Landwirtschaft wird hoffentlich eine Kombination aus technologischer Innovation und nachhaltigen Praktiken sein, die sowohl die Effizienz steigern als auch die Umwelt schützen.