Interview mit Dr. Barbara Grabkowsky
Die Landwirtschaft ist seit langem eine tragende Säule der Wirtschaft im Nordwesten Niedersachsens. Beson-deren Stellenwert hat die starke Tierhaltung. Die steht jedoch auch in der Kritik. Wir fragten Dr. Barbara Grabkowsky vom Verbund Transformationsforschung agrar Niedersachsen (trafo:agrar), wie es weitergehen kann.
Frau Dr. Grabkowsky, die Agrar- und Ernährungsbranche ist eine tragende Säule der Wirtschaft im Nordwesten Nieder-sachsens, warum braucht es Veränderung? Was sind die wichtigsten Treiber?
Die Agrar- und Ernährungsbranche steht vor langfristigen Herausforderungen wie Tierwohl, Klimaschutz und Ressourcenschonung. Diese Themen sind keine vorübergehenden Trends, sie kommen von gesetzlicher Seite, aber auch von Verbraucherseite. Das erfordert eine tiefgreifende Transfor-mation, die die gesamte Produktionskette der Agrar- und Ernährungswirtschaft als Ganzes denkt.
Gesetzliche Maßnahmen von EU- und Bundesseite wirken jedoch oft in verschiedene Bereiche hinein. Wenn Gesetze und Regelungen nicht bis zur kommunalen Ebene abgestimmt werden, entstehen Reibungsverluste. Wenn Ressorts sich nicht absprechen, leidet die Umsetzung.
Für Betriebe entlang der Wertschöpfungskette bedeutet dies Unsicherheit. Es fehlt an Orientierung zukunftsfeste Betriebskonzepte zu entwickeln.
Die wirtschaftliche Stärke des Nordwesten Niedersachsens fußt zu einem großen Teil auf der Veredlung. In Folge der genannten neuen Anforderungen und den Unsicherheiten haben schon viele Tierhalter aufgegeben. Geht das noch weiter?
In unserer TRAIN-Studie wurden die wirtschaftlichen Folgen eines Rückgangs der Tierhaltung anhand verschiedener Szenarien untersucht. Besonders in der Schweinehaltung ist der „worst case“ bereits eingetreten: Seit 2020 gibt es 23 Prozent weniger Tiere, und die Zahl der Betriebe hat sich seit 2020 fast halbiert. Das politische Ziel, kleinbäuerliche Strukturen zu stärken, wurde nicht erreicht.
„Das Wirtschaftswachstum ist heute von sehr viel mehr Faktoren abhängig als in den vergangenen Jahrzehnten.“
Dr. Barbara Grabkowsky
Ein weiterer Rückgang tierhaltender Betriebe wäre weder nachhaltig noch sinnvoll. Tierhaltung ist essentiell für eine geschlossene Kreislaufwirtschaft, ein Stichwort ist Reduktion von Mineraldünger.
Darüber hinaus hat sich im Nordwesten über Jahrzehnte hinweg ein sehr erfolgreiches Agribusiness- und Kompetenzcluster entwickelt. Hier werden smarte und vor allem ressourcen-effiziente Lösungen und neue Technologien und Produkte entwickelt. Fundament war und ist dafür die enge Zusammenarbeit mit der Primärproduktion. In diese Stärken sollte investiert werden, um den zahlreichen disruptiven Veränderungen zu begegnen.
Was kommt konkret auf die landwirtschaftlichen Betriebe zu, die weiter in der Tierproduktion bleiben wollen?
Betriebe, die in der Tierproduktion bleiben wollen, müssen sich zunehmend auf nachhaltige Praktiken einstellen und diese transparent dokumentieren. Nachhaltigkeit wird in der gesamten Produktionskette von großer Bedeutung sein, von der Futtererzeugung über das Tierwohl bis hin zur Nachver-folgbarkeit von Produkten. Nachhaltigkeit wird zunehmend von Banken, Investoren und Handelspartnern gefordert werden.
„Agrarpolitik muss aus dem Wahlkampfmodus raus.”
Dr. Barbara Grabkowsky
Die Anforderungen an die Produktionsbedingungen steigen, und die Märkte werden volatiler. Landwirte müssen flexibler agieren und ihre Geschäfts-modelle diversifizieren, um auf neue Konsumentenwünsche und Marktbedingungen zu reagieren. Ein Beispiel hierfür ist die Nutzung von Nischen-märkten. Ein intensives Risikomanagement wird grundsätzlich immer wichtiger.
Was bedeutet das für Politik und Verwaltung?
Agrarpolitik sollte kein Wahlkampfthema sein – die Lebensmittelproduktion ist eine langfristig relevante, systemische Aufgabe. Daher darf sie weder zum Spielball auf dem politischen Parkett werden noch sollten Zielbilder an Legislaturperioden gekoppelt sein. Wir brauchen dabei nicht mehr Ord-nungsrecht, sondern mehr Gestaltungsfreiheit. Jeder Betrieb sollte seinen individuellen Weg je nach Potenzial und regionalen Gegebenheiten selbst bestimmen können. Dafür müssen Politik und Verwaltung ihre Komfortzone verlassen, ressortübergreifend zusammenarbeiten, miteinander Leitplanken festlegen. Ohne verlässlichen Rahmen wird die Produktion weiter wegbrechen und wir werden mehr importieren müssen.
Mit Beginn des Ukrainekrieges war auf einmal nationale Versorgungssicherheit ein Thema, wie schätzen Sie das aktuell und für die Zukunft ein?
Versorgungssicherheit wird auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen – besonders angesichts wachsender geopolitischer Unsicherheiten und globaler Krisen. Der Ukrainekrieg hat gezeigt, wie abhängig die globalen Märkte von wenigen Anbietern sind und wie schnell diese Lieferketten destabilisiert werden können. In der Landwirtschaft gilt dies besonders für Futtermittel und wichtige Rohstoffe.
Es muss ein ausgewogenes Verhältnis zwischen internationaler Kooperation und heimischer Selbstversorgung geschaffen werden. Eine zentrale Rolle werden dabei geschlossene Stoffkreisläufe spielen. Reststoffe und Nebenprodukte müssen so weit wie möglich genutzt werden.
Auch in Deutschland sind die Lebenshaltungskosten sehr stark angestiegen. Es wird wieder mehr nach dem Preis gekauft. Wie geht das mit den höheren Preisen für Produkte aus den höheren Haltungsstufen zusammen?
In wirtschaftlich unsicheren Zeiten greifen viele Menschen verstärkt zu günstigeren Produkten. Wenn wir jedoch höhere Tierwohlstandards etablieren wollen, muss Stufe 3 zur neuen Norm werden. Gleichzeitig darf Importware mit niedrigeren Standards den Markt nicht überfluten. Landwirte müssen
„Wenn wir signifikante Verbesserungen beim Tierwohl wollen, dann muss Stufe 3 das neue ‚gut und günstig‘ werden.“
Dr. Barbara Grabkowsky
von ihrem Einkommen nicht nur ihre Familie, sondern auch Mitarbeiter, Versicherungen und betriebliche Ausgaben decken können. Zwei Schlüssel-faktoren sind zudem essentiell:
-Produkttransparenz: Kundinnen und Kunden brauchen mehr Informationen, um Lebensmittel ganzheitlich bezüglich Auswirkungen auf Umwelt, Klima und Gesundheit bewerten zu können.
-Produktpreise: Gesunde Lebensmittel müssen erschwinglich bleiben. Viele Menschen haben nur ein begrenztes Budget. Hier hat der Lebensmittel-handel eine zentrale Verantwortung. Dumping-Preise für Lebensmittel sind aus ethischen Gründen in unserer Zeit nicht vertretbar.
Bezüglich der Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung gibt es gegensätzliche Meinungen: Muss/soll der Staat das finanzieren und Produkte der höheren Haltungsstufen dauerhaft subventionieren? Oder soll der Staat sich ganz raushalten und alles dem Markt überlassen?
Das eine funktioniert nicht ohne das andere. Der Staat oder die EU erlassen Gesetze zur Tierhaltung, die Landwirte umzusetzen haben. Der Staat muss sicherstellen, dass diese Vorgaben realisierbar sind. Hier gibt es aber viele Widersprüche, die aufgelöst werden müssen. Dazu gehört die Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung genauso wie die Vergütung für Mehrleistungen. Diese liegen im gesellschaftlichen Interesse, etwa bessere Tierwohl- oder Umweltstandards.
Aber auch der Markt spielt eine zentrale Rolle. Der Lebensmittelhandel muss Tierwohl, Nachhaltigkeit und Ernährungswert transparent kommunizieren und den Konsumenten erklären, warum Produkte teurer sind. Denn es nützt nichts, die beste Schweinehaltung der Welt zu haben, wenn das Schnitzel am Ende nicht gekauft wird.
Auch niedersächsische Unternehmen aus dem Ernährungsbereich befassen sich mit pflanzlichen Fleisch-Alternativen. Zu Laborfleisch wird auch in Deutschland geforscht. Wird unsere Region auch Teil dieser neuen Wertschöpfungsketten sein können?
Zunächst einmal sehe ich in der stärkeren Nutzung pflanzlicher Proteine eine Bereicherung für unseren Speiseplan. Linsen und Bohnen etwa haben in der gesundheitsbewussten Ernährung wieder einen festen Platz.
Die Entwicklung pflanzlicher Fleisch-Alternativen ist ein spannendes Feld. Immer mehr Unternehmen, auch in Niedersachsen, investieren in diese neu-en Produkte. Besonders wichtig ist jedoch, dass die Rohstoffe hierfür regional angebaut werden. Das reduziert den ökologischen Fußabdruck. Ein Bei-spiel ist der hiesige Anbau von Soja oder Erbsen als Rohstoff
„Nachhaltig produzierte Lebensmittel aus Deutschland haben Zukunft, das gilt auch für Produkte aus der Tierhaltung.“
Dr. Barbara Grabkowsky
für neue pflanzliche Produkte. Auch Pilze und Algen werden bereits erfolgreich genutzt.
Bei vielen dieser Fleischersatz-Produkte handelt es sich um stark verarbeitete Lebensmittel. Deren Ernährungswert sollte gegenüber natürlichen Lebensmitteln abgewogen werden.
Langfristig könnte auch Laborfleisch eine Rolle spielen, aber es bleibt abzuwarten, wie sich dieser Bereich entwickeln wird und wie die gesellschaftliche Akzeptanz dafür aussehen wird. Was das allerdings für unsere Region konkret heißt, dazu wage ich noch keine Prognose. Das Thema wird auf jeden Fall bleiben.
Eine persönliche Frage zum Schluss: Wenn Sie einen Betrieb in Südoldenburg mit Schweinehaltung hätten, was würden Sie Ihren Kindern, die Interesse an der Landwirtschaft haben, raten?
Ein belastbarer und gut durchdachter Businessplan ist die Grundlage für einen erfolgreichen landwirtschaftlichen Betrieb. Wichtig ist, sich klar über die eigenen Stärken, Ressourcen und Ziele zu werden. Die zentrale Frage sollte lauten: Was treibt mich an? Welche Vision habe ich für meinen Betrieb? Dazu gehört auch die Frage, wie man sich am besten in der Region und im Markt positionieren kann.
Grundvoraussetzung für mich sind Leidenschaft und Innovationsgeist. Das gilt für jeden Beruf, für die Landwirtschaft ganz besonders. Wer hinter der Landwirtschaft steht, dem kann ich nur raten: „Mach das!“