Photovoltaik boomt hierzulande. Im Gegensatz zu Anlagen auf dem Dach werden sie auf landwirtschaftlichen Flächen zum Teil kritisch gesehen – wenn die Flächen aus der Nahrungs-mittelerzeugung herausfallen. Bei Photovoltaik im Geflü-gelauslauf ist das nicht so. Hier gibt es doppelten Nutzen.
Knapp zwölf Prozent des eingespeisten Stroms in Deutschland liefert mittlerweile die Photovoltaik (PV). Laut Statistischem Bundesamt waren im April 2024 auf Dächern und Grundstücken hierzulande gut 3,4 Millionen PV-Anlagen mit insgesamt rund 81.500 Megawatt installiert. Bisheriger Rekordmonat für Solarstrom in Deutschland war der sonnenreiche Juni 2023: In diesem Monat kamen mehr als ein Viertel (27,3 Prozent) des eingespeisten Stroms aus PV-Anlagen.
Photovoltaik-Anlagen jetzt auch auf Freiflächen
Viele landwirtschaftliche Betriebe haben sich seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Jahr 2000 mit der Solarstromerzeugung eine neue Einkommensquelle erschlossen. Die PV-Anlagen fanden zunächst auf Dächern ihren Platz. Nach einer Novellierung des EEG ist es nun grund-sätzlich erlaubt, PV-Anlagen unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Acker- und/oder Grünlandflächen zu errichten. In Niedersachsen ist dies zum Beispiel auf wiedervernässten Moorböden oder Flächen in sogenannten benachteiligten Gebieten möglich.
Ein Sonderfall der Freiflächen-Anlagen ist die Agri-Photovoltaik, kurz Agri-PV. Sie verknüpft die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte mit der Solar-stromproduktion auf ein und derselben Fläche und ermöglicht so eine Doppelnutzung. Das trägt zu einer effizienteren Flächennutzung bei, verringert die Flächenkonkurrenz und soll die Energiewende weiter vorantreiben.
Für Geflügelausläufe mehrfacher Nutzen
Ein Spezialfall bei der Agri-PV ist die Kombination von Photovoltaik und Tierausläufen. Diese Kombination stößt in der Geflügelhaltung auf großes Inte-resse. Denn von einer solchen PV-Anlage profitiert nicht nur die Geflügelhalterin oder der Geflügelhalter in Form von einem Extra-Einkommen durch die Einspeisevergütung bzw. in Form von günstigem Eigenstrom. Auch die Tiere im Auslauf profitieren.
Die aufgeständerten Solarmodule geben nämlich Witterungsschutz und bieten gleichzeitig Deckung vor Beutegreifern. Geflügelhalter kennen das Problem, dass die Tiere sich nicht weit vom Stall entfernen, obwohl der Auslauf die Möglichkeit bietet. Die Tiere trauen sich nicht auf die freien Flächen, weil sie Habicht, Bussard und Co. fürchten. Ist der Auslauf jedoch mit Solarmodulen bestückt, nutzen Legehennen, Hähnchen oder Gänse die Auslauf-fläche viel besser. Dadurch wird außerdem ein anderes Problem der Freilandhaltung reduziert: Die – ungewünschte – Nährstoffkonzentration im stall-nahen Bereich durch den Kot der Tiere wird verringert, wenn sie sich nicht mehr überwiegend nur dort aufhalten.
Gänsezüchterin in zweiter Generation
All die genannten Vorteile waren auch für Iris Tapphorn Grund, sich eingehend mit dem Thema Agri-PV zu befassen. Die 40jährige Landwirtin aus Lohne im Landkreis Vechta bewirtschaftet in zweiter Generation einen Gänsezuchtbetrieb. Dort befinden sich 3.200 Zuchttiere, mit denen Bruteier erzeugt werden. Diese werden in der eigenen EU-Brüterei ausgebrütet und größtenteils als Eintagsküken an Berufskolleginnen und Berufskollegen verkauft. Vielfach sind das Direktvermarkter, die ab St. Martin bis Weihnachten ihr Angebot um Gänsebraten aus heimischer Produktion erweitern.
Einen Teil der Küken zieht Iris Tapphorn selbst auf. Das dauert drei bis vier Wochen. Einige ihrer Kunden möchten gerne aufgezogene Gänseküken kau-fen. Aber auch auf dem Betrieb Tapphorn werden Tiere gemästet, dieses Jahr sind es etwa 4.000 – ebenfalls für die Direktvermarktung im Winter. Ge-schlachtet wird in der angeschlossenen eigenen Schlachterei mit EU-Zertifizierung. Ihre Produkte rund um die Gans, Eier, Eierlikör, Fleisch, Federkissen etc. vertreibt sie über den Hofladen oder ihren Online-Shop. Ein wichtiger Abnehmer für die gemästeten Gänse ist die Gastronomie in der Region.
Gänse sind nach der Aufzuchtphase tagsüber in der Regel draußen auf der Weide und benötigen viel Platz, mindestens 10 m² Fläche je Tier. Für nachts steht den Tieren ein Stall zur Verfügung.
„Viele Geflügelbetriebe würden gern investieren“
Dieter Oltmann ist Geschäftsführer des NGW – Landesverband der Niedersächsischen Geflügelwirtschaft. Der NGW vertritt die Interessen von rund 1.600 Geflügelhalterinnen und Geflügelhaltern im Bundesland.
Ein wichtiger Arbeitsbereich von Dieter Oltmann war in den vergangenen Monaten das Thema Agri-Photovoltaik in Geflügelausläufen: „Das Interesse an PV ist bei unseren Betrieben sehr groß“, sagt er.
Zum Hintergrund: Die Bundesregierung hat 2023 mit dem Solarpaket 1 zentrale Maßnahmen auf den Weg gebracht, um den Photovoltaik-Ausbau hier-zulande zu beschleunigen. Um in der Landwirtschaft Flächenkonkurrenz zu vermeiden, sollen PV-Anlagen u.a. gerne mit dem Effekt einer Doppel-nutzung auf Geflügel-Ausläufen errichtet werden. Für diese Anlagen ist eine höhere Förderung vorgesehen.
Das Baurecht wurde geändert
Das Baurecht wurde bereits so geändert, dass für landwirtschaftliche Betriebe nun eine Privilegierung für den Aufbau einer PV-Anlage auf einer Fläche von bis zu 2,5 ha besteht. Die Anlage darf dabei nur im „räumlich funktionalen Zusammenhang“ mit dem Betrieb stehen und es darf maximal eine Anlage pro Betrieb geben.
Ergänzend hierzu sind kürzlich neue DIN-Normen veröffentlicht worden, die Standards für die dazugehörigen Baugenehmigungsverfahren vorgeben. Dieter Oltmann war an der Erarbeitung beteiligt. Darin steht etwa, dass Agri-PV-Anlagen für Geflügel mindestens 1,50 m hoch aufgeständert sein müssen. „Bei der Vorgänger-DIN-Norm stand als Mindesthöhe 2,10 m. Das ist für Geflügelausläufe kontraproduktiv, weil Beutegreifer dann eher unter der PV-Anlage durchfliegen könnten“, so Dieter Oltmann. Außerdem sind höher aufgeständerte Anlagen natürlich teurer. Bei einer Mindesthöhe von 1,50 m ist eine maschinelle Pflege der Auslaufflächen unter den Modulen immer noch möglich.
Noch einige Hürden für Betriebe
In Niedersachsen gibt es seit kurzem einen Erlass, der die Umsetzung von PV-Anlagen in Ausläufen mit Legehennen-Freilandhaltung erleichtert. Dennoch gibt es aktuell noch „Hürden“ bei der Umsetzung: „Das Solarpaket 1 ist noch nicht von der EU ratifiziert. Die neuen DIN-Normen mit der Mindesthöhe 1,50 m sind noch nicht bei der Bundesnetzagentur gelistet, was Voraussetzung für die höhere Förderung ist. Fehlt die, sieht es schlecht aus mit der Wirtschaftlichkeit“, sagt der NGW-Geschäftsführer. Im Herbst soll die Listung bei der Bundesnetzagentur kommen. Unsicherheit bringe zudem, dass bei negativen Strompreisen die Wirtschaftlichkeit der Anlagen gefährdet ist. Das Wirtschaftsministerium arbeitet wohl derzeit an einer Änderung.
Strom direkt selbst vermarkten
Aus der Praxis weiß Dieter Oltmann, dass Projektierer auch bei Geflügelhaltern auf der Suche nach PV-Flächen vorstellig werden und zum Teil mit üppigen Pachteinnahmen locken. Er rät, sowohl bei geplanten eigenen Investitionen als auch bei Verpachtungen unbedingt im Vorfeld den Steuer-berater, einen Fachanwalt und ggf. auch Fachberater der Landwirt-schaftskammer zu kontaktieren. Eine interessante Alternative zum Einspeisen des auf der Auslauffläche produzierten Stroms ins öffentliche Netz könne ein Vertrag mit einem direkten Stromabnehmer sein, ergänzt Dieter Oltmann.
Bauantrag für Photovoltaik-Anlage ist gestellt
Für den Bau einer Photovoltaik-Anlage ist auf jeden Fall Platz vorhanden. Und Iris Tapphorn hat mit der Planung bereits begonnen. Sie hat ihrem neuen Projekt den klangvollen Namen „GreenGooseEnergy“ gegeben.
„Unsere Flächen sind endlich“, sagt die umtriebige Südoldenburgerin und es gelte, die eigenen Flächen möglichst effizient zu nutzen und dabei eine möglichst hohe Wirtschaftlichkeit zu generieren. Den vieldiskutierten Zielkonflikt „Teller oder Tank“ gibt es bei einer Doppelnutzung der Auslaufflächen mit Photovoltaik nicht.
Die Landwirtin, die sich an verschiedenen Stellen verbandspolitisch organisiert, führt noch ein anderes, ihres Erachtens gewichtiges Argument ins Feld: Die Tierhaltung steht hierzulande, besonders in den agrarischen Intensivgebieten, unter hohem Transformationsdruck. Es soll einen Umbau zu mehr Tierwohl, mehr Nachhaltigkeit und mehr Umweltschutz geben. Ob der Verbraucher das aber honoriert, steht noch in Frage.
Durch Agri-PV können Tierhaltungsbetriebe an der Energiewende wirtschaftlich partizipieren. Für den Betrieb Tapphorn mit einem jährlichen Strombedarf von rund 200.000 KWh (Brüterei, Schlachterei, Federwäsche, Tiefkühlung etc.) bedeutet eine PV-Anlage zumindest von Frühjahr bis Herbst deutlich mehr Autarkie.
Bei der Umsetzung hakt es noch
Dass Agri-PV in Kombination mit einem Tierauslauf grundsätzlich möglich sein soll, heißt leider noch nicht, dass ein interessierter Betrieb dies einfach umsetzen kann. Diese Erfahrung hat Iris Tapphorn gemacht: „Das Problem ist, Erste zu sein“, sagt sie und meint damit den ersten Bauantrag für eine Agri-PV-Anlage im Geflügelauslauf, mit dem sie zum Landkreis gegangen ist.
Das Baurecht ist zwar in Deutschland so geändert worden, dass PV-Anlagen in Ausläufen unter bestimmten Bedingungen zu genehmigen sind. Die sind bei Iris Tapphorn gegeben.
Der Bund und Behörden gefragt
Dennoch ist der Weg zur Baugenehmigung für sie noch nicht zu Ende, sprich, sie wartet noch hierauf. Eingereicht hat sie einen Belegungsplan der Fläche. Die Gänseherden auf ihrem Betrieb werden jeweils alle drei bis vier Wochen auf eine neue Fläche umgetrieben, damit der Bewuchs sich erholen kann. Ebenfalls einreichen musste sie eine Projektskizze, eine Wirtschaftlichkeitsprüfung, die technischen Leistungsdaten der PV-Anlage, die Netz-punktzusage des Versorgers (für die Einspeisung des überschüssigen Stroms) sowie eine Kartierung der Flächen bezüglich der dort vorkommenden Pflanzen- und Tierarten. Letzteres ging an die Untere Naturschutzbehörde: „Diese Kartierung ist aufwändig und kostet einen deutlich fünfstellige Summe“, so Iris Tapphorn.
„Man braucht den Willen, etwas wirklich umsetzen zu wollen“, umschreibt sie den aktuellen Stand beim Genehmigungsverfahren. In diesem Sinne appelliert sie eindringlich, dass wichtige Neuregelungen des Bundes auch zügig „bis unten durchgereicht“ werden müssten, sprich die kommunalen Behörden entsprechend und einheitlich vorbereitet werden müssten. Sie ist jedoch zuversichtlich, dass ihr Projekt „GreenGooseEnergy“ umgesetzt werden kann und Berufskollegen mit ähnlichen Plänen es künftig leichter haben mit der Umsetzung.